Epistel, zugleich Predigttext: 1. Timotheus 2,1-6a
1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle.
Liebe Gemeinde!
Ein geruhsames Leben, ruhig, still, zurückgezogen - ist es das, was wir wollen? Ist es das, was zu einem Christen, einer Christin passt? Da gibt es die „Stillen im Lande“, die ihren Glauben leben, ohne Aufhebens darum zu machen. So kann man auch unauffällig schwierige Zeiten überstehen, am Gebet festhalten, während ringsum die Welt verrückt spielt. Und wissen wir denn, was und wie viel im Stillen gebetet wird? Und noch weniger: Was es bewirkt?
Vielleicht ist darum die Ermahnung nötig, die der Apostelschüler der Gemeinde auf den Weg gibt: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.“. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die einen weiten Geist und vor allem Beharrlichkeit erfordert. Denn dieses Gebet ist nicht eingegrenzt auf die, die wir kennen und mögen, die, deren Not uns am Herzen liegt, nicht einmal auf die Christen. Wie und wo gebetet wird, spielt keine Rolle. Dabei ist eher an einen stetigen, unendlichen Strom von Gebeten gedacht, mit denen Gott bestürmt wird. Eine einzelne Person wird das nicht leisten können, was Paulus an die Gemeinde in Thessalonich schreibt: „Betet ohne Unterlass!“ (1. Thess 5,17). Neben den traditionellen Kirchen entstehen an verschiedenen Stellen in Deutschland überkonfessionelle Gebetshäuser, wo tatsächlich rund um die Uhr gebetet wird. Im Krankenhaus habe ich erlebt, wie Patienten stolz und zuversichtlich erzählten: „Ich weiß, dass für mich gebetet wird“. Und wussten Sie, dass bei den Gottesdiensten auf dem Schwanberg von den Schwestern regelmäßig für die umliegenden Gemeinden und ihre Pfarrer, also auch für uns, gebetet wird?
Nun ist aber, den ersten Timotheusbrief wörtlich genommen, das Beten in seiner ganzen Vielfalt das Erste, was Christen tun sollen, „vor allen Dingen“. Das erstaunt, ist doch normalerweise Beten für viele wie der letzte Versuch, wenn alles Tun schon nichts mehr ausrichtet: „Jetzt hilft nur noch Beten...“ Und hat nicht auch ein Stoßgebet manchmal noch geholfen? Hier ist Beten die erste Tat, der andere folgen sollen, oder, wie es Luther einmal sagte: „Eines Christen Handwerk ist das Beten.“ Der Schreiber des Briefes kennt verschiedene Arten: Bitte, Gebet, Fürbitte, Danksagung. Wir könnten hinzufügen: das Gebet des Herzens, das Vaterunser, das stille Gebet, das laute Schreien und Rufen, das regelmäßige oder das spontan gesprochene Gebet, allein „im stillen Kämmerlein“, in der Natur oder in der Gemeinschaft. Über das „lehre uns beten“ der Jünger Jesu scheint diese urchristliche Gemeinde schon weit hinausgewachsen. Im Gegenteil, es ist nicht ausgeschlossen, stellvertretend für andere Menschen Bitte und Dank vor Gott zu bringen, Menschen, die womöglich gar nichts von Gott und dem Glauben wissen wollen. Und neben der Bitte steht ebenso gewichtig der Dank, Für-Bitte und Für-Dank sozusagen.
Als Nächstes wird ein ganz spezielles Gebet empfohlen: für Könige und alle Obrigkeit. Tut man das heute noch – wo Regierung von vielen als Servicebetrieb empfunden wird, der einen möglichst in Ruhe lassen soll, oder gegen den man von Fall zu Fall seine Wut mobilisiert. Damals war die Herrschaft deutlich spürbar, gerade den Christen gegenüber war der römische Staat mißtrauisch. Überliefert ist, dass man Christen vor dem Kaiserbild zur Anbetung zwang, und wer dies nicht tat, konnte mit dem Tode bestraft werden. Und nun sollten – die nächste Zumutung dieses Briefes – Königen und aller, ja aller Obrigkeit Fürbitten gewidmet werden? Leuten, die darauf sicher keinen Wert legten, Leuten, die oft skrupellos ihre Macht ausübten? Solche Bitten gehen nicht leicht über die Lippen. Sie brauchen eher Selbstdisziplin, Übung und Überwindung – wiederum ohne Garantie, dass sich dadurch etwas ändert. Das einzige, was sich vielleicht ändert, ist das Gefühl: Ich habe jetzt nicht untätig bei allem ausgeharrt, ich habe getan, was mir möglich ist: ich habe gebetet und mein Anlegen an Gott abgegeben – jetzt ist er an der Reihe.
Und das ist keineswegs ein Beten „ins Blaue hinein“. Denn Gott ist der „Heiland“, der will, „dass allen Menschen geholfen wird…“ An diesen unterstützenden, menschenfreundlichen Gott sind unsere Gebete gerichtet, was heißt, dass auch unseren Gebeten diese Grundhaltung durchscheinen soll, und dass aus dieser Haltung die entsprechenden Taten erwachsen, bei den Betenden ebenso wie bei Gott. Und dass dies nicht nur Worte sind, wird der Brief nun ganz grundsätzlich. Er knüpft am Glaubensbekenntnis an, am Bekenntnis der Einzigartigkeit Gottes und des von ihm gesandten Menschen Jesus Christus. Beten geht nicht an ihm vorbei oder ohne ihn, es ruft sein Wirken und seine Spuren in unserem Leben in Erinnerung: „Mein Leben kommt von Gott, mein Glauben, meine Erlösung kommt von Gott, von Jesus Christus.“ Er ist zuerst da, bevor auch nur eine Silbe eines Gebets gedacht oder gesagt ist. Wir können selbst das Vertrauen des Gebets nicht erzeugen, nicht die Last des – womöglich unerhörten – Gebetes tragen. Gott hat uns den Weg zu ihm im Gebet eröffnet, jederzeit, frei und freiwillig, und Christus seine Nähe zu Gott auf uns übertragen, wenn wir in seinem Namen beten oder rufen: „Abba, lieber Vater“.