Gottesdienst am 27. November 2022 – 1. Advent - Offenbarung 3,14-22

Predigttext: Offenbarung an Johannes 3,14-22

14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest! 16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. 17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. 18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. 19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! 20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. 22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde!

Über allem, was der Prophet über den Engel der Gemeinde Laodizea mitzuteilen hat, steht von Anfang an ein dickes „Amen.“ Der treue Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes verbürgt es. Das heißt nicht nur erhöhte Aufmerksamkeit, das heißt, dass man sich nicht vorbeimogeln kann, nicht Augen und Ohren verschließen. Was hier steht, gilt, und ist nicht aus der Luft gegriffen, denn Johannes kennt wohl die Verhältnisse genauer.

Das Urteil ist niederschmetternd: nur Tadel, keine positiven Ansätze wie bei den anderen Gemeinden. „Weil du aber lau bist“ – das ist sprichwörtlich geworden. Unser Leben vollzieht sich in Gegensätzen, zwischen Himmel und Erde, Tod und Leben, schwarz und weiß, und diese Gemeinde ist in eine diffuse Grauzone geraten: Wofür steht sie, wofür „brennt“ sie? Ist lahm, angepasst, mittelmäßig, unmotiviert, unentschieden und immer auf der Suche nach einem Kompromiss, der niemand wehtut? Konkret erfährt man es nicht, und so ist der Spekulation Tor und Tür geöffnet.

Also: Was weiß man? Laodizea liegt in Kleinasien, in der heutigen Türkei. Unweit von den berühmten Sinterterrassen von Pamukkale sind die Ausgrabungen zu besichtigen. Die Stadt war so reich, dass 60 nach Christus, nach einem schweren Erdbeben, Hilfe aus Rom abgelehnt wurde. Es war eine Handels- und Kurstadt. In der Nähe gab es heiße Quellen, und man produzierte – darauf spielt die Offenbarung an - eine bekannte Augensalbe. Auch Textilveredelung war hier zuhause, Woll- und Leinenweberei, und man hatte ein Verfahren entwickelt, wie man auf rein pflanzlicher Basis Purpur färben konnte. Es gab alles für Wohlbefinden und Zerstreuung: Zwei Theater, ein Stadion, mehrere Tempel, eine zentrale Wasserversorgung und mehrere Bäderanlagen. Diese waren unterteilt in Warm- und Kaltbereich, der Wechsel sollte, wie in der Sauna oder bei Kneipp, dem Wohlbefinden und der Gesundheit dienen, und gesellschaftliche und geschäftliche Treffpunkte waren sie ohnehin. Laodizea besaß eine ansehnliche jüdische Gemeinde; über Christen in Laodizea ist wenig bekannt. Bei den Ausgrabungen wurde eine große Kirche aus dem 4. Jahrhundert gefunden, und der Kolosserbrief erwähnt Laodizea mehrmals. Aber was an den harten Urteilen wirklich dran war, erfahren wir nicht. Jedenfalls ist nicht die ganze Stadt gemeint, sondern nur die vermutlich sehr überschaubare Christengemeinde.

So bleibt uns nur, uns selbst in deren Lage zu versetzen. Wie würden wir darauf reagieren, wenn uns vorgeworfen würde: Alles nur Fassade, die Wirklichkeit ist ziemlich bescheiden, langweilig und unbedeutend? Genau so nehmen viele die Kirche heute auch wahr – eine Institution, die sich überlebt hat. Zeigt der Spiegel, der den Laodizäern vorgehalten wurde, am Ende auch uns? Wären wird betroffen, aggressiv, beleidigt oder schuldbewusst? Und nach aller Kritik: Wie soll es statt dessen weitergehen? Pauschalurteile und theologische Phrasen helfen da nicht weiter. „Christus tritt in dem Sendschreiben seiner Gemeinde nahe“ heißt es da beispielsweise. Richtig, so nahe dass er ihr auf die Zehen steigt. Das tut weh, aber ist es auch heilsam? Ist es Liebe, als Züchtigung getarnt, oder Anstoß zur Umkehr durch eine Schockdiagnose? Leider ergeh sich der weitere Gedankengang in bildhafter Rede: Ich stehe vor der Tür, klopfe an … Das Abendmahl zu feiern ist sicher gut und richtig, aber ist man damit die Lauheit schon los, und wie verhindert man, dass diese in ebenso schädlichen blinden Fanatismus umschlägt? Und dann soll man auch noch mit Christus auf dem himmlischen Thron sitzen – was soll das sein? Ich erinnere mich an den spontanen, erregten Ausspruch einer Kollegin angesichts aller Ungerechtigkeit auf der Welt: „Wenn ich der liebe Gott wäre, na, dann könntet ihr aber was erleben!“ - und dann, glaube ich, hat es ihr erst einmal die Sprache verschlagen. Ich aber wäre gespannt auf die Fortsetzung.

Die ersten Gemeinden war Experimentierfelder. Es sollte ein neues Miteinander entstehen, in Gemeinschaft mit Gott und den Menschen. Konflikte waren und sind unausweichlich, die Beziehungen mal vernetzt und mal verwickelt und verknotet. Und neben den „Wir“ einer Gemeinde, das in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, gibt es die vielen Ichs, die sich mehr oder weniger stark damit verbunden fühlen. Als Einzelner dem Ganzen eine Richtung zu geben ist mühsam und fordert Überzeugungskraft, Hartnäckigkeit und Geduld. „Keine Experimente“ scheint da mehr Sicherheit zu bieten. Aber Ich denke, dass immer wieder Neues ausprobiert werden kann und muss, weil das „weiter so“ nicht mehr funktionieren wird. Dafür brauchen wir Menschen, die sich trauen und das Risiko des Scheitern nicht scheuen, Menschen, die Gemeinde tragen in der Hoffnung, dass Gemeinde sie dann auch trägt. Sie könnten ja einmal einen Wunschzettel schreiben, was für eine Gemeinde heute nötig ist, und dabei gleich überlegen, was Sie dazu beitragen können, dass sich etwas von diesen Wünschen erfüllt.